Der EuGH hat mit Urteil vom 11.9.2025 (Rs.: C-115/24) Klarheit über die rechtliche Einordnung telemedizinischer Versorgungsmodelle geschaffen und so die Position von grenzüberschreitend tätigen Gesundheitsdienstleistern gestärkt. Insbesondere hinsichtlich Kooperationen, die sowohl Elemente der telemedizinischen als auch Elemente der physischen Patientenbehandlung beinhalten, wurden offene Fragen geklärt und so eine Grundlage geschaffen, die die Vertragsgestaltung rechtssicherer macht. Mit seinem Urteil hat der EuGH zentrale Rahmenbedingungen für die Erbringung telemedizinischer Leistungen und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit geschaffen.

  • Definition der „Telemedizin“: Der EuGH stellt klar, dass telemedizinische Leistungen i.S.d. Art. 3 Buchst. d der Patientenmobilitäts-RL (RL 2011/24/EU) ausschließlich im Fernabsatz, also ohne physisches Aufeinandertreffen von Dienstleister und Patienten, erbracht werden. Findet ein physischer Behandlungskontakt statt, handelt es sich bei der Gesundheitsdienstleistung nicht um eine telemedizinische Leistung.
  • Es kommt nicht auf ein „Überwiegen“ an: Im Rahmen der rechtlichen Einstufung komplexer medizinischer Behandlungen können einzelne, darin enthaltene Gesundheitsdienstleistungen unterschiedlichen nationalen Regelungen unterfallen. Voraussetzung ist, dass die jeweilige Gesundheitsdienstleistung eigenständig und abgetrennt beurteilbar ist. So kann etwa die physische ärztliche Vor-Ort-Betreuung dem Recht jenes Mitgliedsstaates unterfallen, in dem der behandelnde Arzt ansässig ist, während die digitale Fernbetreuung durch einen ausländischen Anbieter dem Recht des Herkunftsstaates dieses Dienstleisters unterliegt. Vorstehendes kann selbst dann gelten, wenn ein einheitlicher Behandlungsvertrag geschlossen wurde.
  • Ein „Sich Begeben“ setzt den physischen Ortswechsel voraus: Die Anwendbarkeit der Berufsqualifikations-RL (RL 2005/36/EG) setzt einen physischen Ortswechsel voraus. Der Dienstleister begibt sich daher nicht in einen anderen Mitgliedstaat, wenn lediglich die Dienstleistung die Grenze überschreitet (sog. Korrespondenzdienstleistung).
  • Bestätigung des Herkunftslandprinzips: Auf telemedizinische Leistungen ist das Recht des Mitgliedstaates, in dem der Gesundheitsdienstleister (also z.B. ein Arzt, eine Klinik oder ein anderes Unternehmen, das Gesundheitsdienstleistungen anbietet) ansässig ist. Eine Anwendung des Rechts des Mitgliedsstaates, in dem sich der Patient aufhält, ist nicht angezeigt.

Das Urteil des EuGH schafft für Anbieter digitaler Gesundheitslösungen, die eine Expansion in andere EU-Mitgliedsstaaten oder anderweitige Kooperationen mit EU-Auslandsbezug anstreben, eine wichtige Grundlage für die rechtssichere Vertragsgestaltung. Die Entwicklung rechtssicherer Kooperationsmodelle zwischen z.B. lokalen Praxen und ausländischen Telemedizinanbietern sollte unter Zugrundlegung der Entscheidung Verantwortlichkeiten klar definieren und abgrenzen. Arbeitsteilige, grenzüberschreitende Behandlungsmodelle, die auch telemedizinische Leistungen beinhalten sind zukünftig so besser umsetzbar.

 

Anna Scholz, LL.M. (MedR), Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht