Ähnlich wie bei Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und Ärzte-Gesellschaften wird bezogen auf Rechtsanwaltsgesellschaften seit Jahren diskutiert, ob sich auch „nicht-anwaltliche“ Dritte  daran beteiligen dürfen. Der bayrische Anwaltsgerichtshof (AGH) hat nun mit Beschluss vom 20.4.2023  und Blick auf die europäischen Grundfreiheiten der Kapitalverkehrs-, Dienst- und Niederlassungsfreiheit erhebliche Bedenken an dem Fremdbeteiligungsverbot geäußert und dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt  (BayAGH III-4-20/21).

Wegen erheblicher Bedenken am anwaltlichen Fremdbeteiligungsverbot hat der AGH dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage vorgelegt, ob darin eine unzulässige Beschränkung der europäischen Grundfreiheiten, namentlich der Kapital–, Dienst- und Niederlassungsfreiheit zu erblicken ist. Das Vorabentscheidungsersuchen fällt insoweit in eine Zeit, in der die von Gesundheitsminister Lauterbach mit seiner vorweihnachtlichen Ankündigung eines Gesetzgebungsvorhabens erheblich befeuerte Debatte, ob der Einfluss fachfremder Dritter weiter zu begrenzen ist.

Mit Blick auf den Entschließungsantrag der Länder, der auf eine weitere Einschränkung der MVZ-Gründungsberechtigung abzielt, und das laufende Gesetzgebungsverfahren, sei hier ein Blick auf die Vorlageentscheidung des AGH geworfen, die erstaunliche Parallelen in der Diskussion offenbart, zumal die Richter explizit auch den Vergleich zu medizinischen Versorgungszentren und Krankenhäusern zogen.

I. Vorlageentscheidung an den EuGH

Dem Vorabentscheidungsersuchen des AGH liegt ein Fall zugrunde, in dem ein Rechtsanwalt eine Unternehmergesellschaft (UG) gegründet und in der Folge eine Mehrheit der Gesellschaftsanteile an eine österreichische, nicht-anwaltliche Gesellschaft mit beschränkter Haftung abgetreten hatte. Die Rechtsanwaltskammer München widerrief daraufhin die Zulassung der UG als Rechtsanwaltsgesellschaft, woraufhin die Gesellschaft Klage erhob. Sie argumentierte, dass das grundsätzliche Fremdkapitalverbot für Rechtsanwaltsgesellschaften verfassungsrechtlich und europarechtlich nicht haltbar sei. Es müsse vielmehr bei entsprechenden (Satzungs-)Regelungen, die eine Einflussnahme auf die originäre anwaltliche Tätigkeit verhinderten, möglich sein, dass sich Finanzinvestoren an Anwaltsgesellschaften beteiligen können.

Der AGH hat nun dieser Argumentation folgend wegen erheblicher Bedenken an der Unionsrechtskonformität dieses Fremdbeteiligungsverbot dem EuGH die Frage vorgelegt, ob darin eine unzulässige Beschränkung der europäischen Grundfreiheiten, namentlich Kapital, Dienst- und Niederlassungsfreiheit verbunden ist. Ausdrücklich stellten die Richter in Auseinandersetzung mit der Apotheker-Entscheidung des EUGH vom 19.6.2009 (C 171/07 und 172/07), dass eine vergleichbare Gefahrenlage nicht bestehe. Bei der Rechtsberatung habe „es vielmehr der durch die Berufsordnung gebundene Vertreter der Rechtsanwaltsgesellschaft in der Hand, das Verfahren im Interesse seines Mandanten bis zu seinem Ende zu führen. Dies [entspräche] strukturell der Tätigkeit eines Arztes, der ebenfalls die Behandlung bis zum Eintritt des Behandlungserfolges eigenverantwortlich führt, sofern sie der Patient nicht vorher beendet.“

Aufhorchen lassen sollte Befürworter einer weiteren Beschränkung der MVZ-Gründungsberechtigung insbesondere die folgende Feststellung:

„Ein Bedürfnis, den Betrieb medizinischer Versorgungszentren oder Krankenhäuser durch das Fremdbeteiligungsverbot abzusichern, wurde durch den Gesetzgeber nicht gesehen, obwohl auch die Therapieentscheidung des Arztes erheblich unter wirtschaftlichem Druck stehen und durch ökonomische Gesichtspunkte beeinflusst werden kann.“

II. Der Schutz der Freiberuflichkeit

Sofern der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann in der Begründung des Entschließungsantrag äußerte, dass die ärztliche Freiberuflichkeit schützenswert sei und man Fehlentwicklungen in der ambulanten Versorgung vorbeugen sollte, trägt das als Argument für eine weitere Verschärfung der Gründungsberechtigung nach § 95 Abs. 1a SGB V nicht und fußt auf einem falschen Verständnis der Freiberuflichkeit. Ärzte und Rechtsanwälte eint, dass sie einen so genannten „freien“ Beruf ausüben, was berufsrechtlich in § 1 Abs. 1 S. 3 der MBO-Ä für Ärzte und für Rechtsanwälte in § 1 BORA unter der Überschrift „Freiheit der Advokatur“ niedergelegt ist.  Bei der ärztlichen Freiberuflichkeit geht es aber um die Freiheit ärztlichen Tuns im Sinne einer fachlichen Weisungsfreiheit. Auf die wirtschaftliche Selbständigkeit kommt es gerade nicht an; sonst wären auch sämtliche Anstellungsverhältnisse grundsätzlich unzulässig. Der Terminus „Freiberuflichkeit“ weckt gleichwohl häufig derartige Assoziationen, ohne dass transparent gemacht würde, welche Komponente hier gemeint wäre. Auch der AGH hat in seinem Beschluss nun hervorgehoben, dass es auf die Beteiligungsverhältnisse nicht ankommen kann, wenn nur die unabhängige Berufsausübung dergestalt sichergestellt ist, dass nicht durch Weisungen der Gesellschafter oder Gesellschafterbeschlüssen in deren Tätigkeit eingegriffen wird. Entscheidend sei, dass den Gesellschaftern durch die Satzung eine Einflussnahme auf die Geschäftstätigkeit (gemeint sein dürfte die konkrete anwaltlich beratende Tätigkeit) der Gesellschaft untersagt sei (Rn. 41).

III. Ausblick

Legt man diese Annahme als richtig zugrunde und überträgt sie auf den medizinischen Sektor, ist eine verfassungs- und europarechtlich tragfähige Begründung für die diskutierte weitere Beschränkung des Gründerkreises nach § 95 Abs. 1a SGB V nicht erkennbar. Im Medizin- und Gesundheitsrecht sorgt ein enges rechtliches Geflecht aus vertragsärztlichen, straf- und zivilrechtlichen Regelungen dafür, dass eine fachfremde Einflussnahme auf die ärztliche Therapiefreiheit unzulässig ist. Jede weitere Einschränkung auf der Ebene des Berufszugangs liefe nun Gefahr, in Luxemburg als unionsrechtswidrig eingestuft zu werden.

Dem Gesetzgeber wäre insoweit dringend anzuraten, den Ausgang des Vorabentscheidungsverfahrens abzuwarten, bevor er voreilig und sehenden Auges rechtswidrige Regelungen schafft.

Letzteres dürfte bei näherer Betrachtung auch im Interesse der Verfechter der Idee des „Arztes in eigener Praxis“ sein, die jegliche Form der mittelbaren Beteiligung nicht-ärztlicher Dritter ablehnen: Im Falle einer Überprüfung von § 95 Abs. 1a SGB V wäre nämlich nicht durch die zusätzliche Beschränkung, sondern die gesamte Norm Gegenstand eingehender Begutachtung. Hier dürften schon wegen der evidenten und sachlich kaum begründbaren Differenzierung zwischen ambulantem und stationärem Sektor derart tiefgreifende Bedenken bestehen, dass auch eine gänzliche Unvereinbarkeit mit Unionsrecht denkbar erschiene. Dem ursprünglichen Ansinnen, nicht-ärztliche Kapitalgeber aus der ambulanten ärztlichen Versorgung weitgehender fernzuhalten, erwiese sich dann als Boomerang, der zu einer vollständigen Liberalisierung führen könnte.